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Wie in der Lüdenscheider Knopfindustrie Metallknöpfe entstanden

Mitte der 1870er Jahre in Lüdenscheid. Johannes, ambitionierter Graveurgeselle in einer Knopffabrik strebt seine Meisterprüfung an. In einer Zeit, da in der Stadt hauptsächlich Uniform- und Livreeknöpfe entworfen und produziert werden, bevorzugt er die Herstellung von anderer Bilderknöpfe. Entsprechend hat er sich für sein Meisterstück ein ungewöhnliches Motiv überlegt. Obwohl nur noch wenige Tage bis zur Abgabe bleiben, lässt er sich Zeit mit der Umsetzung. Zunächst jedenfalls.


Ein Seufzer erfüllte die Werkstatt. Sechs Männer unterschiedlichen Alters hoben die Köpfe, neugierig, wer ihn wohl ausgestoßen hatte. Johannes biss sich auf die Lippe, dann warf er einen unschuldigen Blick in die Runde. Das durfte ihm als angehendem Meister nicht noch einmal passieren. Die einfachen und schlichten Wappen langweilten ihn, doch das sollte er sich nicht anmerken lassen. Zumal so kurz vor seiner Prüfung. Den Weg vom Gesellen zum Graveurmeister hatte er ja eingeschlagen, um kunstvoller arbeiten und mehr eigene Ideen entwickeln zu können. Auch jenseits von Wappenknöpfen für Uniformen und Livreen.

Zurzeit saß er abends lange an seinem Meisterstück: einem Prägewerkzeug für einen ganz besonderen, selbst entworfenen Modeknopf, sowie dem Gegenstück, dem Stanzwerkzeug. Tagsüber arbeitete er wie immer an Gravuren für Uniformknöpfe, die – zugegeben – auch recht anspruchsvoll sein konnten. Und natürlich wollte diese Arbeit auch erledigt sein, denn Knöpfe für Uniformen und Livreen waren schließlich das Hauptgeschäft der Fabrik. 




Auf dem Weg zum Graveurmeister

Die Werkstatt versank wieder in arbeitsamem Schweigen, eine Zeit lang war nur das Kratzen der Werkzeuge zu hören. Dann schabte ein Hocker über den steinernen Boden. Wieder hoben sich die Köpfe der Männer. Gernot, ein Knabe von vielleicht 15 Jahren, war aufgestanden und kam zu Johannes. Er verbeugte sich leicht, zeigte seine Arbeit und sagte: „Darf ich etwas fragen?“ Johannes nickte ihm ermunternd zu und sah sich bereits die Arbeit des Jungen an. „Wie kann ich die unterschiedlichen Farben des Wappens darstellen?“, fragte Gernot. Johannes schmunzelte. „Das ist eine gute Frage, zeig mir doch einmal das Muster“, antwortete Johannes. Anhand des Blatts erläuterte er dem Lehrling, dass er mit geraden und schrägen Schraffuren oder Punkten arbeiten solle, um die verschiedenen Farben abzubilden. Je dunkler die Farbe im Original, umso enger die Schraffur. 

Der Junge bedankte sich und kehrte an seinen Platz zurück. Johannes arbeitete weiter an seinem Wappen. Als ihn Müdigkeit überkam, gähnte er verstohlen und beschloss, durch die Reihen zu gehen. Obwohl seine Prüfung zum Graveurmeister erst bevorstand, hatte man ihm bereits diese Gruppe an Graveuren zugeteilt. Mit drei Gehilfen, zwei Gesellen und einem Lehrling war sie gar nicht mal so klein. Er sah seinen Männern über die Schultern und begutachtete, wie sie unterschiedliche Wappen in die Formen für Knöpfe umsetzten. Die Gehilfen übernahmen die einfachsten Formen und reichten sie dann zur Ausarbeitung an die Gesellen weiter. Dieses Prinzip hatte sich Johannes selbst überlegt, als er die Leitung der Gruppe übernommen hatte. Es war ihm sinnvoll erschienen, dass die geschickteren – und teureren – Gesellen die schwierigeren Aufgaben übernahmen. 

Die Arbeitsteilung bewährte sich. Die Gehilfen arbeiteten routiniert die Grundformen aus und die Gesellen konnten – im Rahmen der Vorgaben der Auftraggeber – ihr gestalterisches Können einfließen lassen. Johannes machte hier und da eine Anmerkung, war jedoch im Großen und Ganzen sehr zufrieden mit seinen Leuten. Als die Glocken der Stadtkirche Lüenscheids schließlich sechsmal schlugen, klatschte er in die Hände und verabschiedete die Männer in den Abend.

Er selbst öffnete die Fenster, um den Dunst des Tages heraus- und frische Winterluft hereinzulassen. Während er einen Apfel und ein Stück Brot aß, sah er auf die Straße hinaus. Seine Männer und die der anderen Meister eilten fröhlich schwatzend ihren Wohnungen entgegen. Mancher bog noch zu einem Gasthaus ab. Bald wurde es stiller und Johannes schloss die Fenster.

Im Licht einer Petroleumlampe holte er die Knopfform hervor, die sein Meisterstück werden sollte. In zehn Tagen musste er es abgeben, danach würde er seine Prüfung ablegen. Liebevoll fuhr er über das millimeterdicke Metall, in dem bereits eine Silhouette zu erkennen war. Er hatte sich einen ganz besonderen Bilderknopf überlegt und freute sich auf das Ergebnis. Johannes griff nach dem Entwurf, den er von seinem Motiv gezeichnet hatte. Eine Madonna sah ihn freundlich an. Sie trug das Jesuskind auf Schulterhöhe, fast berührte es ihr Gesicht. Beide hatten einen Heiligenschein. Neben den beiden Gesichtern würden auch sie eine Herausforderung werden, denn er stellte sich die Gloriolen als Blütenkränze vor. Die Kleidung plastisch darzustellen, war dagegen beinahe ein Kinderspiel.

Seiner zeitlichen Planung hing er etwas hinterher, so gab es jetzt keinen Aufschub mehr. Er begann, unter dem Vergrößerungsglas mit verschiedensten Werkzeugen den Kopf des Kindes auszuarbeiten. Mit leichten Pausbacken, einem engelsgleichen Gesichtsausdruck und jenem erwachsenen Blick, den mancher Säugling an den Tag legte. Konzentriert arbeitend nutzte er seine feinsten Stichel sowie die eine oder die andere Feile. Immer wieder war er überrascht, wie er das Material formen konnte. Als die Lampe zu flackern begann, war es Zeit, nach Hause zu gehen. Es ging auf Mitternacht zu und er konnte gerade noch erkennen, dass ihm das kleine Gesicht gut gelungen war. Froh packte er seine Sachen zusammen, verließ die Werkstatt und die Fabrik.  


Die tägliche Routine

Seine Nacht war kurz. Die Kirchenglocke schlug sechs, als Johannes die Werkstatt wieder betrat. Er öffnete die Fenster. Ihre Arbeiten legten seine Graveure abends immer auf einer separaten Werkbank ab. Er nahm sie zur Hand, begutachtete sie aus der Distanz und betrachtete sie unter der Lupe. Die meisten Gravuren waren präzise umgesetzt. Nur ein paar Kleinigkeiten waren zu korrigieren. 

Als die Fenster längst wieder geschlossen und seine Leute vollzählig waren, begrüßte Johannes sie. „Guten Morgen, die Herren“, sagte er. „Wir kommen gut voran. Doch wie ihr wisst, müssen wir vor dem Weihnachtsfest noch viele Formen fertigstellen. Wir dürfen also nicht nachlassen.“ Die Männer nickten zustimmend. „Eure Arbeiten von gestern habe ich mir angesehen“, fuhr Johannes fort. „Friedhelm, Bertram und Gernot, kommt bitte zu mir.“  

Der Geselle Friedhelm machte den Anfang und hörte sich in Ruhe Johannes Kommentar an, der anregte, an zwei Stellen durch eine stärkere Gravur in einem Wappen mehr Tiefe zu erreichen. Dem Gehilfen Bertram gab er die Anweisung, Konturen mit einem breiteren Stichel anzulegen. Und dem Lehrling Gernot zeigte er, wie er den Stichel ansetzen musste, um die geraden und parallelen Linien der Schraffuren zu ziehen. 

Bis zur Mittagszeit herrschte wieder geschäftige Stille in der Werkstatt. Außer den Werkzeugen und einem gelegentlichen Husten oder Räuspern war kein Mucks zu hören. Auch Johannes arbeitete wieder an einem Wappen. Insgeheim freute er sich darauf, abends mit dem Gesicht der Madonna zu beginnen. Doch erstmal stand die Mittagspause an. Einige seiner Männer ließen sich zu Hause verköstigen, andere hatten sich eine kalte Mahlzeit mitgebracht.

Johannes machte in der Mittagspause gerne einen Spaziergang, um sich zu erfrischen und Inspirationen zu sammeln. Auf dem Weg besuchte er den Laden des Bäckermeisters und aß unterwegs einen Teil seines Einkaufs. Seit er an seinem Meisterstück arbeitete, fehlten ihm die abendlichen Mahlzeiten bei seiner Wirtin, die sich bereits um seine Gesundheit sorgte. Eine warme Mahlzeit am Tag sei wichtig, betonte sie jeden Morgen. Doch Johannes winkte ab. Bis zur Abgabe seines Meisterstücks würde er ohne warmes Essen auskommen. Noch neun Tage, dann hätte er es geschafft. 

Der Nachmittag verging schnell und mit dem Glockenschlag der Stadtkirche sprangen die Männer wieder auf. Nur Gernot blieb noch einen Moment sitzen und zog eifrig einen letzten Strich. Dann brachte er sein Werk zur Werkbank. Stolz blitzte in seinen Augen. Johannes freute sich für den Lehrling. Das gute Gefühl, wenn die Gravur langsam die richtige Form annahm, kannte er. „Bis morgen, Gernot“, verabschiedete er den Jungen. Der verbeugte sich und erwiderte den Gruß, bevor er davonstob. 

Lächelnd öffnete Johannes das Fenster und holte seine Arbeit und die Zeichnung aus der Schublade. Er gähnte und reckte sich, dann schloss er das Fenster und machte sich an die Arbeit. Heute war der richtige Tag für das Antlitz von Maria mit ihrem frohen, zugewandten Blick auf das Jesuskind. Gerade die ausgefeilte Mimik war in der Dimension eines kleinen Knopfes von zwei Zentimetern Durchmesser besonders anspruchsvoll. Johannes musste sein ganzen Können und alle Raffinessen der Gravierkunst aufwenden. 

Andererseits war das ja genau die Aufgabe seines Meisterstücks: sein Können zu beweisen. So arbeitete Johannes froh vor sich hin, bis ihm der Ausdruck der Madonna gefiel. Endlich war er zufrieden und legte den Stichel ab. Er rieb sich die Hände an einem Lappen ab und fuhr sich über das Gesicht. Spät war es geworden, aber der Aufwand hatte sich gelohnt. Vorsichtig legte er sein Werk und die Zeichnung in die Schublade, schloss sie ab und ging gähnend den halben Kilometer bis zu seiner Stube. Das Schwierigste hatte er geschafft, morgen Nacht würde er sicher früher heimgehen.    



Ein verantwortungsvoller Posten

Am nächsten Tag regnete es. Es war kein angenehmer, leichter Regen, sondern fieser, kalter Winterregen, der Feuchtigkeit in alle Gliedmaßen brachte. Johannes schloss die Fenster schneller als sonst und zündete den Ofen an. Wenn Graveure etwas nicht gebrauchen konnten, waren es klamme, unbewegliche Finger. Er legte Stofffetzen bereit, die sich seine Männer um die Hände wickeln könnten, um sie zu wärmen. Dann betrachtete er die Arbeiten des letzten Tages und war sehr zufrieden mit den Ergebnissen. 

Gernot hatte ihm gut zugehört, seine Schraffuren waren für einen Anfänger geradezu perfekt. Er hatte fraglos Talent. Johannes war froh, ihn in seiner Truppe zu haben. Nach und nach trafen seine Gehilfen und Gesellen ein. Im Nu begann die feuchte Wolle ihrer Umhänge zu dampfen, die Luft in der Werkstatt wurde schlecht. Doch es half nichts: Die Fenster konnte Johannes bei diesem Wetter nicht öffnen. 

Er forderte die Männer auf, Mäntel und Umhänge aus der Werkstatt zu bringen, damit es im Raum nicht zu muffig wurde. Dann verteilte er neue Aufträge an diejenigen, die eine Arbeit abgeschlossen hatten. Die fertigen Prägewerkzeuge brachte er hinüber zu seinem Meister und Mentor Meyerhoff. Nach der Begutachtung der Formen nahm Meyerhoff Johannes mit zum Fabrikanten, der sein endgültiges Plazet geben sollte. Auch der war zufrieden mit der Ausführung und kündigte den beiden an, dass neue Aufträge aus China eingetroffen seien. 

Gutgelaunt kehrte Johannes in seine Werkstatt zurück, wo die Männer ruhig vor sich hin arbeiteten. Auf die chinesischen Aufträge freute er sich, denn sie waren exotisch und abwechslungsreich. Der Tag verflog, auch weil mittags wegen des Regens alle vor Ort blieben und sich zusammensetzten. Selbst Johannes sparte sich seinen Spaziergang. Er entließ die Männer früher als sonst und holte sein Meisterstück hervor, um das Gewand der Maria auszuarbeiten. Plötzlich öffnete sich die Tür und Meyerhoff trat ein. 


Alles auf Anfang

„Ah!“, sagte er, indem er näher trat. „Ist das dein Meisterstück?“ und deutete auf die Arbeit. „Darf ich es sehen?“ Johannes nickte, obwohl es ihm eigentlich nicht lieb war, sie vor der Fertigstellung zu zeigen. „Oh!“, sagte Meyerhoff. „Oh. Ungewöhnlich“, setzte er hinzu und kratzte sich am Kopf. Johannes schaute Meyerhoff fragend an. „Ja“, sagte er. „Das denke ich auch. Ich möchte den Knopf mit Gold belegen.“ Meyerhoff holte tief Luft. „Eine jetzt schon sehr ausgefeilte Arbeit“, lobte er. „Wer soll diesen Knopf nutzen?“ 

Johannes stutzte. Diese Frage hatte er sich gar nicht gestellt. „Pastoren vielleicht, oder Mönche“, sagte er. Meyerhoff wiegte den Kopf hin und her. „Goldene Knöpfe dürften allenfalls für Kardinäle interessant sein“, merkte er an. „Aber ich fürchte, sie werden das Motiv nicht in Betracht ziehen.“ „Aber es ist doch mein Meisterstück und Sie sagten, beim Motiv habe ich die freie Entscheidung.“ „Ja, schon“, bestätigte Meyerhoff. „Ein Teil deiner Aufgabe ist jedoch, einen Knopf zu entwickeln, der sich produzieren und verkaufen lässt.“ 

„Aber für die Damenmode ist die Madonna doch ein wunderschönes Motiv, zumal in der goldenen Ausführung“, wandte Johannes ein. Meyerhoff schüttelte den Kopf. „Glaub mir, mein Junge“, antwortete er. „Die Prüfer der Zunft werden deine wunderbare Arbeit sicher gut bewerten. Aber sie werden nicht erkennen, wofür ein solcher Knopf genutzt werden kann. Denk noch einmal darüber nach, ob du dabei bleibst oder zumindest gute Argumente für seine Verwendung findest.“ 

Er klopfte Johannes auf die Schulter. „Nichts für ungut“, sagte er. „Ich möchte einfach, dass du die Meisterprüfung bestehst! Der Betrieb setzt große Hoffnungen in dich!“ Mit diesen Worten verließ er die Werkstatt und ließ Johannes verstört zurück. Wütend warf er einen Stichel an die Wand. Dann packte er seinen Entwurf sowie die Arbeit wieder in seine Schublade, schloss sie ab, verließ die Werkstatt und ging ins nächste Wirtshaus. 

Zunächst bestellte er sich einen Schnaps, doch dann besann er sich und orderte ein Stück Braten und Kartoffeln. So ein Tag!. Erst die guten Nachrichten zu den abgelieferten Arbeiten und den neuen Aufträgen aus China – und dann ein solcher Tiefschlag! Acht Tage vor der Abgabe seines Meisterstücks. Was sollte er tun? Bis das Essen kam, raufte er sich die Haare. Erst jetzt merkte er, wie ausgehungert er nach den Tagen ohne die gute, warme Kost seiner Wirtin war. Seine Verzweiflung ließ schon nach. 

In der Nacht schlief er überraschend gut. Beim Aufwachen hing ihm ein Traum nach. Ein großes Schiff? Wie kam er denn darauf? Doch er musste sich sputen, um pünktlich in der Werkstatt zu sein. Das Regenwetter des Vortags hatte der Sonne Platz gemacht, sodass er trotz des Dämpfers vom Vorabend wieder guter Dinge war. Es wäre doch gelacht, wenn er nicht eine Lösung fände. Doch zunächst erwartete ihn die tägliche Routine in der Werkstatt. 


Die Zeit wird knapp

Dort angekommen, öffnete Johannes die Fenster und blickte hinaus in den sonnigen, aber kalten Tag. Eine Taube flog durchs Bild. Ihm war, als hätte er genau diesen Augenblick schon einmal erlebt. Doch der Moment verging. Er wandte sich dem Tagwerk zu und schon bald versank die Werkstatt wieder in geschäftigem Schweigen.  Johannes arbeitete jetzt an einem Livreeknopf für einen französischen Duc. Das Originalwappen war nicht nur farbig gestaltet, sondern auch in sich gemustert. Seine schöpferischen Fähigkeiten waren hier gefordert und sein Meisterstück war erstmal vergessen. 

Erst mittags, bei seinem Spaziergang, kehrten die Gedanken daran zurück. Die Idee eines religiösen oder biblischen Motivs war eine Herzensangelegenheit gewesen. Ein Gegenpol zu den vielen Uniformknöpfen, die sie in der Fabrik entwarfen. Die meisten Uniformen, für die sie Knöpfe herstellten, kleideten Armeen und hatten somit einen militärischen Hintergrund. Doch inzwischen verstand er Meyerhoffs Einwand: Seine Madonna war auch als Modeknopf sehr ungewöhnlich, und keiner wusste, wie die Prüfer darauf reagieren würden. Zumal ihm weitere Verwendungsmöglichkeiten, als die, die er Meyerhoff am Abend zuvor genannt hatte, nicht einfielen. Andererseits verabschiedete er sich nur widerwillig von seiner Madonna. Aber das musste er, je eher desto besser. 

Zuerst aber brauchte er eine neue Idee. Sieben Tage vor der Abgabe. Er kannte sich selbst sehr gut. Er würde diese Idee nicht finden, indem er verbissen in der Werkstatt säße. Darum ging er bei seiner Wirtin vorbei, um sich fürs Abendessen anzukündigen. Hoch erfreut lobte sie seinen Entschluss. Er selbst fand die Aussicht auf ein warmes Mahl sehr verlockend. Der Nachmittag verflog, die Arbeit am Livreeknopf des Duc ging ihm leicht von der Hand. Er hatte einen gewitzten Entwurf entwickelt und setze ihn bereits um. 

Als er nach dem Abendessen zu Bett ging, fielen ihm die Teile seines Traums von letzter Nacht wieder ein. Was für ein Schiff war das gewesen? Er kam nicht darauf und schlief ein. Am Morgen weckte ihn ein Gurren auf dem Dach. Um diese Jahreszeit? Er stand auf und blickte aus dem Fenster, sah aber keinen Vogel. Wieder ein Traum? Kopfschüttelns zog er sich an, nahm sein Frühstück ein und ging zur Werkstatt. 

Sechs Tage bis zur Abgabe seines Meisterstücks. Langsam kam er ins Schwitzen. Er musste dringend mit der Arbeit beginnen. Zwar war einer dieser Tage ein freier Sonntag, aber ohne neue Idee nützte der ihm nichts. Vielleicht müsste er doch noch an der Madonna weiterarbeiten und sich einige Argumente überlegen, wofür dieser Modeknopf gebraucht würde. Es würde doch sicherlich mutige Damen geben, die sich damit schmückten. Er öffnete die Fenster der Werkstatt. Eine Taube flog durchs Blickfeld, im Schnabel einen Zweig, als wolle sie ein Nest bauen. Johannes stutzte. Schon wieder so ein Vogel? 

An der Werkbank, auf der die Arbeiten seiner Männer lagen, schweiften seine Gedanke ab. Vor seinem inneren Auge erschien plötzlich eine Illustration, die er vor vielen Jahren in der Schule gesehen hatte. Ein großes Schiff, die Arche, war darauf zu sehen gewesen, wie sie auf der blauen Sintflut treibt. An Deck die Tiere, immer paarweise, und Noah, der einer Taube entgegenblickt, die ihm einen Ölzweig bringt. Als Zeichen der Hoffnung, dass das Wasser sinkt und die Welt überlebt. 

Ein Lächeln breitete sich auf Johannes Gesicht aus, den Entwurf für seinen Knopf hatte er schon klar vor Augen. Die Taube war das passende Motiv für seinen Knopf. Sie hatte einen religiösen Bezug, war aber auch ein universelles Symbol. Sie eignete sich in einer schlichten Variante für Geistliche und goldverziert für Damenbekleidung. Dieser Knopf würde stets eine frohe Botschaft verkünden. Mit diesem Meisterstück würde er die Prüfer sicher überzeugen. Und danach würde er seine Madonna wieder aus der Schublade ziehen. 


Wusstest du schon, dass ...

… findige Lüdenscheider Unternehmer die Produktion von Knöpfen einführten, als die Konkurrenz im Drahtgeschäft durch neue Produktionsverfahren immer größer wurde?

… zunächst massive Metallknöpfe hergestellt wurden, bis man in den 1820er Jahren begann, Hohlknöpfe mit verziertem Oberteil und schlichtem Unterteil zu produzieren?

… die Formen für die kunstvollen Oberteile von Graveurmeistern hergestellt wurden, die im Laufe der Jahre ein immer höheres Ansehen genossen?

… die Hohlknöpfe aus gewalzten Blechen geformt wurden, die man an früheren Standorten der Drahtproduktion walzte, zum Beispiel im Rahmedetal?

… Uniform- und Livreeknöpfe einen Großteil des Geschäfts ausmachten und Lüdenscheider Knöpfe bis nach China exportiert wurden?

… die Knopfindustrie bis zum Ersten Weltkrieg die Hauptindustrie in Lüdenscheid war?

Lüdenscheid im Jahr 1895 die am stärksten industrialisierte Stadt Deutschlands war und die Knopfindustrie daran entscheidenden Anteil hatte?

… die Knöpfe immer kunstvoller wurden und man sie später auch mit Edelmetallen wie Silber und Gold beschichtet wurden?


Lüdenscheid zu Zeiten der Knopfindustrie

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Lüdenscheid ein Zentrum der Industrialisierung in Deutschland. Nach der Erfindung von Metallknöpfen wuchs die Knopfindustrie zur erfolgreichsten Branche der Stadt. Eine Spezialität waren Entwürfe und Herstellung von Knöpfen für Uniformen und Livreen. Sie wurden in großen Mengen produziert. Die Geschäftsbeziehungen in diesem Segment reichten weltweit. Auch Modeknöpfe gehörten zum Angebot, erreichten jedoch nicht annähernd die Stückzahlen wie Uniformknöpfe. Folgende Orte vermitteln heute noch einen Eindruck, wie es zu jener Zeit in Lüdenscheid aussah.


Literatur

Walter Hostert, Hostert, W.: Geknöpfte Heraldik. Eine Einführung in die Welt der Bilderknöpfe. Lüdenscheider Knopfbuch 1. Teil: Uniformknöpfe: 1. Geknöpfte Heraldik, Lüdenscheid, 1997

Richard Althaus, Knöpfe, Britannia, Zeppeline, in: Lüdenscheid in alter Zeit - Geschichte, Bilder, Geschichten, S. 138-147, Lüdenscheid, 1981

Hans Schramm, Die deutsche Knopfindustrie in Geschichte, Volkswirtschaft und Weltwirtschaft, Naunhof-Leipzig, 1921

Peter Herschlein, Der alte Knopf des Dieners, im Blog – Kommission Alltagskulturforschung in Westfalen, online verfügbar unter: https://www.alltagskultur.lwl.org/de/blog/der-alte-knopf-des-dieners/, zuletzt abgerufen am 30. November 2023 
 

Text: Sabine Schlüter - Die flotte Feder

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