Entdeckungen entlang der Drahtrollenroute in Altena-Evingsen
Evingsen liegt an einem steilen, waldigen Berg. Die Hauptstraße des Altenaer Ortsteils verläuft in Serpentinen, viele kleine Straßen durchziehen den Hang. Darunter die schmale, steile Gasse Im Springen, die auf einem kleinen, frisch gepflasterten Platz endet. Was man auf den ersten Blick gar nicht vermutet: Hier liegt eine Wiege der Industrie im Märkischen Sauerland. Wald, eine kräftig sprudelnde Quelle und Eisenerz, das einfach herumlag, bildeten das Fundament. Mut, Tatkraft und Erfindergeist ermöglichten den Rest. Das kleine Springer Tal in Evingsen zeigt im Kleinformat, wie sich die Eisen- und Metallindustrie im Märkischen Sauerland über Jahrhunderte entwickelte.
Mikrokosmos am Springer Bach
Die Wildschweine waren da, mal wieder. Sie lieben den feuchten Boden unweit der Springer-Quelle inmitten des waldigen Altenaer Ortsteils Evingsen und haben ihn ordentlich durchpflügt. Der freundliche Herr vom Heimatverein Evingsen deutet die Spuren ohne zu zögern. Schließlich kennt er Ort und Geschichte wie seine Westentasche.
Die Springer-Quelle, so berichtet er, sprudele seit Ewigkeiten kräftig den steilen Hang hinab ins Springer Tal. Nicht nur die Wildschweine, auch die Menschen wussten die Quelle schon immer zu schätzen. Die Menschen nutzten vor allem die Kraft, mit der das Wasser hinunterschoss.
Spätestens Ende des 16. Jahrhundert entstanden im Springer Tal die ersten Drahtrollen. So heißen im Märkischen Sauerland kleine Metallwerke, in denen zu früheren Zeiten mit Unterstützung durch Wasserkraft Draht gezogen wurde. Mit der Springer-Quelle beginnt also die Drahtgeschichte im Springer Tal. Auf rund 700 Metern gründeten sich entlang des Springer Bachs zwölf kleine Drahtziehereien, die den Draht später sogar weiterverarbeiteten.
Der Standort war nicht nur wegen des Bachs günstig. Denn nur ein paar hundert Meter weiter, im unteren Springer Tal wurde auch das zum Drahtziehen besonders geeignete sogenannte Osemundeisen produziert. Eine Hütte übernahm das Schmelzen des speziellen Eisenerzes aus den Bergwerken in Evingsen und Dahle. Und eine Schmiede quasi nebenan arbeitete es zu dem besonderen Eisen auf.
Drahtrollen im Märkischen Sauerland
Drahtrollen waren ab dem Spätmittelalter die ersten kleinen Metall- und Eisenwerke in unserer Region. In anderen Gegenden sind sie auch als Drahtzug, Drahtzieherei, Drahtmühle, Drahtwerk, Drahthütte oder Drahthammer bekannt. In ihren zunächst mit Tretmühlen und später mit Wasserkraft angetriebenen Kleinproduktionen stellten die Drahtzieher, die sogenannten Zöger, Draht mit unterschiedlichen Durchmessern her.
Um Draht überhaupt herstellen zu können, waren besonders biegsame, geschmeidige Metalle erforderlich. Da die entsprechenden manganhaltigen Erze in Evingsen und im benachbarten Dahle zu finden waren, entwickelte sich Evingsen und hier insbesondere das Springer Tal begünstigt durch die Springer-Quelle und der damit reichlich vorhandenen Wasserkraft zu einem frühen Zentrum der Drahtherstellung. Der Draht wurde als Rollen meist über Drahthandelswege an weiterverarbeitende Betriebe z.B. nach Altena oder Iserlohn geliefert.
Die Drahtrollen im Springer Tal gehörten ursprünglich mehreren Eignern, sogenannten Reidemeistern. Ab Mitte Anfang des 19. Jahrhunderts änderten sich die Eigentumsverhältnisse merklich, manche Anteilseigner übernahmen einzelne oder sogar mehrere Drahtrollen. Dies hatte auch Einfluss auf die Produkte. Um die Erträge zu steigern, wurden immer häufiger Erzeugnisse aus Draht wie z.B. Ahlen (Schusternadeln), Ketten oder Werkzeuge hergestellt und vertrieben.
Mit dem kundigen Begleiter des Heimatvereins an der Seite werden die Spuren dieses Mikrokosmos, der die Entwicklung der Drahtherstellung im Märkischen Sauerland wunderbar widerspiegelt, bereits beim Blick von der Quelle ins Tal erkennbar. „Unser Drahtrollenweg“, berichtet er, während er ins Tal zeigt, „erläutert an 13 Stationen Details zur Geschichte der Drahtrollen im Springer Tal.“ Wie historisches Kartenmaterial belegt, gab es im heute relativ eng bebauten Tal zunächst nur die zwölf Drahtrollen und sechs Wohnhäuser in denen die Betreiber wohnten.
Der Heimatverein Evingsen e.V. hatte ihre Geschichte über Jahre recherchiert und aufgearbeitet. Schließlich entwickelte er mit Unterstützung des WasserEisenLand e.V. den Themenweg mit Infotafeln an interessanten Stationen. Entstanden war die Idee aus einem früheren Projekt, der Sanierung und Rekonstruktion der Drahtrolle Am Hurk. Heute ist das, was von außen wie ein schmuckes Häuschen mit Wasserrad aussieht, ein kleines Museum und die Endstation der Drahtrollenroute im Springer Tal.
In besagter Drahtrolle Am Hurk sieht es aus wie in einer uralten Werkstatt. In dem mit Bruchsteinwänden ummauerten Raum zeigt ein rostiger, raumhoher Rohrofen, wie Speisen und Getränke warmgehalten wurden. Auffällig sind die speziellen Gerätschaften. „Beim Drahtziehen wurde dicker Draht immer weiter verfeinert“, erläutert der ehrenamtliche Museumsführer. „Am Feindrahtzug musste zunächst der angespitzte Draht von der Krone, einer Abwickelhaspel, durch ein Zieheisen geführt und an der Winnenscheibe befestigt werden“.
Er zeigt eine Auswahl an eisernen Zieheisen mit Löchern von verschiedenen Durchmessern, durch die der Draht von der durch Wasserkraft angetriebenen Winnenscheibe gezogen wurde. „Funktioniert hat das nur mit dem zähen Osemund-Eisen, wie es ganz früher die kleinen Rennöfen und später die Hütten und Schmieden in unserer Gegend erzeugten“. Die Wasserkraft war natürlich eine große Erleichterung. Bevor man es nutzte, mussten die Zöger den Draht mit großem Kraftaufwand von Hand ziehen.
Um zu verdeutlichen, wie das Wasser die Arbeit unterstützte, verschwindet er kurz und gibt das Wasserrad an der linken Seite des Gebäudes frei. Während es draußen plätschert, beginnen sich in der Werkstatt Räder zu drehen. „Später, Anfang des 19. Jahrhunderts, spezialisierten die Menschen sich weiter, sie wurden von reinen Drahtlieferanten zu Herstellern von Produkten aus Draht. Im Springer Tal wurden hauptsächlich Werkzeuge für Schuhmacher produziert. Hier Am Hurk entstanden zum Beispiel kleine Ahlen, mit denen Schuster Löcher ins Leder bohren“, fährt der Herr vom Heimatverein fort. „Der Draht wurde geschnitten, gebogen und an der Ahlenschleifbank gespitzt. Anschließend kamen die Eisenwaren zum Polieren ins Rollfass im Untergeschoss“.
Die heutige Geschwindigkeit des Wasserrads, ergänzt er noch, sei mit der früherer Zeiten nicht mehr zu vergleichen. Das Museum nutzt lediglich das Oberflächenwasser der Springer-Quelle. Die Hauptquelle liegt schon lange unter einem Häuschen der Stadtwerke Altena, die das kostbare Trinkwasser heute kontinuierlich kontrollieren und an Haushalte bis nach Altena verteilen.
Das köstliche Wasser der Springer Quelle kann man vor Ort sogar probieren oder ins Trinkfläschchen abfüllen, bevor die Entdeckungstour auf die Drahtrollenroute führt.
Drahtrollenroute: 13 informative Stationen mit 16 großformatigen Tafeln
Gastro-Tipp an der Drahtrollenroute: Up dem Hecking
Zu Gustav-Adolf Kaysers Unternehmen gehörte im 19. Jahrhundert auch die benachbarte Drahtrolle Up dem Hecking. Dort ließ er Fingerhüte herstellen und nannte sie dann Fingerhutmühle. Die ursprüngliche Nutzung ist am Wasserrad noch deutlich erkennbar - auch wenn das Rad heute nicht mehr in Betrieb ist.
Up dem Hecking ist inzwischen ein uriges Lokal mit kleiner Terrasse. Bestens geeignet um nach der Spurensuche auf der Drahtrollenroute mit Getränken und kleinen Speisen zu stärken. Das Lokal ist Freitag- und Samstagabend geöffnet.
Doch wie mag es hier vor 300 oder 200 Jahren ausgesehen haben? Waldig sicherlich. Mittendrin eine Schneise mit einem holprigen Weg hinüber bis nach Dahle. Der Blick zurück lässt seinen Verlauf nur erahnen, über die heutige Straße reicht er zwischen den Häusern gerade mal bis zur Höhe des Gasthauses Up dem Hecking. Ob die Sicht durch das Gehölz damals bis dorthin reichte? Eher nicht. Die ersten Drahtrollen waren zwischen den Bäumen sicherlich gut getarnt. Und sehr wahrscheinlich hatten sie öfter mal Besuch von Wildschweinen.
PS: Deinen Spaziergang entlang der Drahtrollenroute kannst du übrigens am offiziellen Startpunkt in der Springer Straße oder an der letzten Station bei der Drahtrolle Am Hurk beginnen. Die Route ist natürlich rund um die Uhr besuchbar, alle Tafeln sind öffentlich zugänglich. Das Museum Drahtrolle Am Hurk hat von April bis Oktober jeden letzten Sonntag des Monats von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Heimatverein Evingsen bietet außerdem Führungen durch die Drahtrolle Am Hurk und entlang der Drahtrollenroute an.
Du möchtest mehr über Drahtzieher und Drahtrollen im Märkischen Sauerland erfahren?
Du möchtest mehr über Drahtzieher und Drahtrollen im Märkischen Sauerland erfahren?
Dann besuche unbedingt auch das Deutsche Drahtmuseum in Altena. Denn was heute ein selbstverständliches Material ist, hat seine Wurzeln im Märkischen Sauerland zum Beispiel im Springer Tal. In der Erlebnisausstellung des Deutschen Drahtmuseums erfährst du alles darüber, wie man früher und heute die verschiedensten Dinge aus Draht produziert. Nicht von ungefähr lautet der Titel der Ausstellung Vom Kettenhemd zum Supraleiter. Hier kannst du auch experimentieren und vieles selbst ausprobieren.
Wenn du noch weiter wandern möchtest
Auch wenn sich in den Tälern seit Jahrhunderten Industrie entwickelte bestimmen Wälder und Natur bis heute das Bild rund um Altena.
Du findest zahlreiche Wanderwege für kurze und längere Touren, um die Gegend zu erkunden. Zum Beispiel den historischen Drahthandelsweg von Lüdenscheid über Altena bis nach Iserlohn, auf dem auch Geocaching ein Thema ist, oder einen Zugang zum Sauerland Höhenflug.